Senioren beim Fahrsicherheitstraining

Bereits 2018 hatte der AK StUV (Arbeitskreis Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr) vier Termine zur Schulung der Fahrsicherheit von Senioren mit der Verkehrswacht Borken auf dem Übungsgelände in Gescher-Estern vereinbart. Schon damals war klar, solche Übungen sind nur nachhaltig, wenn sie wiederholt werden. In diesem Jahr hatte der AK StUV dem Seniorenbeirat Ende März einen neuen Termin mit der Deutschen Verkehrswacht Bochum auf dem Gelände der BoGeStra in Gelsenkirchen vorgeschlagen und auch auf der Webseite des Seniorenbeirats öffentlich gemacht.

Die Teilnehmerzahl war diesmal wechselhaft wie das angesagte Wetter. Die zunächst 8 Teilnehmer aus dem Seniorenbeirat konnten bis auf 12 (die optimale Zahl) aufgefüllt werden. Sie verringerte sich auf 10 zahlende Personen (wegen eines heimischen Unglücksfalls). Nur 8 traten an, sie sollten es nicht bereuen. Bei Schauern und Windböen boten die großen Hallen der BoGeStra Schutz für die Instruktionen des Trainers, Ingo Braunschuh. Er ist Polizist und war früher Personenschützer – Motto: In Gefahrenlagen niemals anhalten. Heute übten wir das Gegenteil.
Ich war mit meinen 77 Jahren im guten Seniorenalter-Mittelfeld der fünf Fahrerinnen und drei Fahrer (nur zwei waren „Wiederholungstäter“ von Gescher). Der Trainer war mit Mitte 50 der bei weitem Jüngste. Acht Wagen starteten und es wurden „Pärchen“ gebildet, bei jeder Übung war man/frau einmal Fahrer und einmal Beifahrer. Und auch die Autos waren sehr unterschiedlich: der älteste ein 32 Jahre alter Audi 80 – ohne ABS –, jüngere mit allem technischen Knowhow, z.B. Bremsassisstenten oder sogar Notbremssystem.
Ingo gab allgemeine Einführungen zum richtigen Sitzen im Auto (Handkante bei ausgestrecktem Arm oben auf dem Lenkrad), zur richtigen Lenkradhaltung (Hände am Lenkrad auf ¼ vor 3:00 Uhr, Daumen auf dem Lenkrad), dem richtigen Bremsen und der bestmöglichen Nutzung des ABS (Antiblockiersystem).
Und dann ging es „auf die Piste“: Slalomfahren um 4 Gummihütchen in Reihe, erst mit 30 km/h, dann mit 35 km/h und zuletzt mit 40 km/h. 40 km/h ist sehr schnell, wenn die Bögen zu groß gefahren werden, dann wurde auch schon mal ein Hütchen rasiert. Dann stellte Ingo die Hütchen links und rechts aus der Reihe, sodass wesentlich engere Kurven gefahren werden mussten. Wir sollten lernen, instinktiv bei großem Lenkeinschlag mit der unteren Hand umzugreifen nach oben (auf 12:00 Uhr des Lenkrads). Besonders als Beifahrer bekamst du bei der höheren Geschwindigkeit etwas Sorge, dass das nächste Hütchen etwas weit außen steht. Aber es hat alles geklappt. Wer die Hütchen gut umfahren (nicht umgefahren) hatte, bekam über Funk von Ingo lobende Worte.
Als nächstes waren Bremsübungen an der Reihe: Mit 30, 40, 50 km/h anfahren und an einer gekennzeichneten Linie bremsen, um auf dem kürzesten Weg zum Halten zu kommen. Das forderte fast brutale Entschlossenheit. Ich gebe zu, beim ersten Mal hat mein ABS sich nur kurz gemeldet, ich hatte mit dem Bremsdruck nachgelassen, bevor der Wagen stand. Der Bremsweg hatte sich verlängert, im Ernstfall ein Leben gefährdender Fehler oder ein teurer (vermeidbarer!) Blechschaden. ABS richtig angewandt, verkürzt den Bremsweg deutlich.
Bei 30 km/h errechnet sich ein Anhalteweg von 14 m (9 m Reaktionsweg + 5 m Bremsweg). Aber welche Geschwindigkeit hat ein Wagen mit 50 km/h am Ende des Anhalteweges des mit 30 km/h gefahrenen Wagens, also nach 14 m? Erschreckende Antwort: Wegen des längeren Reaktionsweges noch die volle Geschwindigkeit von 50 km/h! Der Reaktionsweg bei 50 km/h ist also allein genauso lang wie der gesamte Anhalteweg bei 30 km/h! Also vor Schulen oder entsprechend gekennzeichneten Gefahrenstellen bitte unbedingt die Geschwindigkeit drosseln.
In der Mittagspause stärkten sich die Teilnehmer an Pizza, Lasagne und Salat sowie Cola und Mineralwasser, die der Seniorenbeirat spendiert hatte.
Und wie stand es mit unserer Reaktionsfähigkeit? Ingo zählte über Funk für jeden eine andere Zahlenreihe herunter und bei der ersten ungeraden Zahl sollten wir halten (z.B. 18 – 20 – 22 – 24 – 25 – 26). Beim ersten Mal klappte es bei allen ganz gut. Aber dann änderte Ingo die Ansage: Die ungerade Zahl kam schon als zweite oder sehr spät kurz vor Ende der Strecke. Spaß muss sein, aber Reaktion hängt auch von Konzentration ab.
Vor der nächsten Übung Bremsen in Kurven hatte Ingo die Hütchen umgestellt zu einem kleinen Hof mit einem offenen Ausgang nach rechts vorne. Wir sollten mit 50 km/h auf die jetzt sehr schmale Einfahrt zusteuern, in der Einfahrt voll in die Bremse steigen und trotzdem eine Lenkbewegung nach rechts und wieder links machen. Die größte Überwindung kostete es uns, mit voller Fahrt in ein Hindernis zu fahren. Wir haben schon vorher abgebremst und dann im Hindernis ohne weiteres Bremsen gelenkt oder sind so langsam hineingefahren, dass wir beim Bremsen schon im Hindernis standen und Lenken nicht mehr erforderlich war. Aber jede Übung erfolgte dreimal als Fahrer und dreimal als Beifahrer – zum Schluss gab es für jeden über Funk ein Lob.
Wir haben gelernt, auch betagte Senioren können noch am Straßenverkehr teilnehmen. Jeder sollte aber ehrlich zu sich sein, ob er noch die nötigen Reflexe hat. Eine gute Idee sei, fremde Sachkompetenz einzuholen. Und Übung macht den „Meister“. Alle zwei bis drei Jahre könnte man ruhig solch einen Kurs machen!

Text: Jürgen Herrmann
Foto: Deutsche Verkehrswacht